Sozialisierung für Wildtiere??

Nach einer längeren Pause habe ich wieder eine Blogfolge für euch.

Was mich nämlich  immer wieder beschäftigt, ist ein sehr schwieriges Thema  - sind Tiere, die schon seit mehreren Generationen in unserer Obhut leben, anders als ihre wild-lebenden Verwandten? Sind sie vielleicht schon teilweise domestiziert und wir sollten sie daher ganz anders ansehen und auch anders behandeln? 
Die Antwort ist eindeutig  JA!

Manche werden jetzt sicher denken : "Die spinnt wohl, Raubkatzen sind keine Haustiere und sie gehören eigentlich gar nicht in die menschlicher Obhut!!" 

Ja das stimmt! Das möchte ich damit gar nicht sagen.....

Meine Beobachtungen, viele wissenschaftliche Studien und natürlich auch Erlebnisse und Erfahrungen vieler Zoopfleger und Züchter zeigen aber, dass sich bei Tieren durchaus nicht nur Verhaltensveränderungen ( was eigentlich selbstverständlich ist ), sondern auch schon physische und sogar genetische Unterschiede  zu wild-lebenden Tieren zeigen.  Ich  habe dieses Thema schon in der Blogfolge " Unsere Lieblinge Samur und Katinka" angesprochen. Die solltet ihr auch unbedingt lesen.

 Zu den physischen und genetischen Veränderungen, die sich Gott sein dank erst nach Generationen zeigen und nicht gerade erfreulich sind, komme ich in einer späteren Folge. Heute möchte ich über das umstrittene Thema schreiben - " wie sollten wir unsere Schutzbefohlenen denn eigentlich  am besten behandeln, wenn sie schon in unserer Obhut leben ?" 

Manche Tierpfleger im Zoo und sogar Zoologen und natürlich auch die meisten Zoogegner sind der Meinung, dass ein persönlicher Kontakt zum Tier nicht gut ist und sie sollten in menschlicher Obhut wild bleiben,  es sind doch Wildtiere . Warum also eine Sozialisierung, das sind  keine Haustiere!? Sie befürchten, dass aus einem Wildtier ein zahmes Tier mit Verhaltensstörungen entsteht. Diese Bedenken sind aber unbegründet, wenn das Jungtier während der Prägungsphase von seiner Mutter aufgezogen wurde. Was ist aber wirklich das Beste für das WOHLBEFINDEN der Tiere?

Ich lasse euch entscheiden und bin diesmal wirklich auf eine schöne Diskussion gespannt!
Die Tiere sind nun einmal ständig von Menschen umgeben - Pfleger, Tierärzte, Besucher, wäre es dann doch nicht besser, wenn sie dabei weniger Furcht und daher auch weniger Stress empfinden würden? Wäre eine Sozialisierung auf Menschen nicht doch besser? Ich spreche jetzt nicht von einer Prägung auf Menschen, die bei Handaufzuchten statt findet.  Das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Was meinen Sie?
Hier aber vorerst ein paar Beobachtungen und Erfahrungen von Zooangestellten und Züchtern. 

Viel zu viele Tiermütter und das nicht nur bei Raubkatzen, ignorieren oder töten sogar ihren Nachwuchs gleich nach der Geburt. Eine der Ursachen ist die große Scheu der Tiere, die bei Störungen  viel Stress ausgesetzt sind.  Ein Zitat aus einer Publikation der Reihe "Arbeitsplatz Zoo" : Geht die Aufzucht schief, liegt es wohl am wahrscheinlichsten daran, dass es uns nicht gelang, der Katze die Illusion von Sicherheit zu vermitteln."  Eine trächtige Katze, die ihrem Pfleger vertraut, würde doch auch viel ruhiger reagieren, wenn er dann ihr Gehege sauber macht oder Futter bringt. Sie kennt ihn und er bedeutet kein Gefahr. 

Es gibt natürlich auch Züchter oder Privathalter, die Luchse, Karakale, Servale oder im Zirkus auch Tiger oder Löwen erfolgreich verpaaren.  Es ist ein umstrittenes Thema, aber in diesen Haltungen sterben Jungtiere viel seltener. Warum ist es so ?!

Die Tatsache ist - diese Menschen haben täglich sehr engen Kontakt zu ihren Schützlingen, sind bei Geburten sogar persönlich anwesend, berichten auch, dass die "Mama " ihnen ihre Babys ganz stolz präsentiert und auch den Kontakt zu ihnen auch später gestattet. Das erleichtert dann natürlich auch das spätere Wiegen oder Impfen von den Kleinen.  Auch ein Tierarztbesuch ist weniger stressig, oder man kann sogar selbst eine Salbe oder Spritze geben, wenn es nötig ist. Alles ohne Gefauche und weit aufgerissene Augen.   Natürlich kann es auch hier vorkommen, dass die Mutter ihren Nachwuchs nicht annimmt, aber meistens handelt es sich entweder um eine Erstgeburt oder die Mutter war eine Handaufzucht. 

Ich war total überwältigt, als ich bei einem Züchter einfach mit ihm in ein Gehege rein durfte und eine Servalkatze und Ihre Jungen sehen und sogar kurz streicheln durfte. Ich habe lieber nur wenig fotografiert, um diese Idylle nicht zu stören, auch hab ich mich nicht getraut in die Hocke zu gehen um aus einer besseren Perspektive Fotos zu machen, es könnte von der Mutter vielleicht missverstanden sein.  Sie war aber voll entspannt. Obwohl es kein Zoo war, war sie wohl an fremde Menschen gewöhnt, es bedeutete für sie und ihre Jungen keine Bedrohung . Ich fand es sehr interessant.

Um auf die Eingangs gestellte Frage zurück zu kommen... Meine Meinung ist: NEIN, wir sollten diese Tiere nicht wie Haustiere betrachten, es sind und werden keine Kuscheltiere, aber eine Sozialisierung auf Menschen  sollte auch in jedem Zoo statt finden und ich freue mich, dass es auch schon bei sehr vielen so ist.  

Die Pfleger können den Katzen kleine Fleischstücke aus der Hand reichen und so , wenn es nötig ist auch eine Tablette reinschmuggeln. Sie dabei an Berührungen gewöhnen, was bei einer Erkrankung Untersuchungen leichter machen kann.  Es ist ein tägliches Training für  einen Arztbesuch, Behandlung oder Nagelpflege. 

Auch über solche Trainingsmethoden habe ich in meinem Buch geschrieben. Wer es also noch nicht gelesen hat, wird bestimmt noch viel mehr interessante Sachen aus dem Zooalltag erfahren. 

Sozialisierte Zootiere  verspüren keine Angst vor Besuchern, werden kein Bedürfnis haben sich zu verstecken, sie sind weniger gestresst. Die Menschen werden entweder voll ignoriert, interessant oder  als Partner aber nicht als Bedrohung angesehen und das erleichtert den Tieren das Leben mit uns!  

Literatur

"Raubkatzen in menschlicher Obhut" : Katerina Mirus , tredition Verlag

 

"Kleinkatzen" eine Publikation aus der Arbeitsplatz Zoo Reihe, Schülling Buchkurier

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Kommentare: 6
  • #1

    Klaas Kamminga (Montag, 14 November 2016 17:45)

    Wirklich lesenswert. Pfleger(innen) die ich gesprochen habe möchten alle ein guten Kontakt mit Ihre Tiere haben und sie ggf trainieren, es gibt offenbar nicht immer viel Zeit dafür.Manche Zoos in den USA sind der Meinung das leicht gestresste Katzen wie Nebelparder am besten von Hand grossgezogen werden um sie die furcht für Menschen weg zu nehmen. Ideal scheint mir die Situation wie du beschreibst, das die Mutter einem so vertraut das sie es zulässt ihre Jungen in die Hand zu nehmen. Ich persönlich sehe in menschlicher Obhut lebende Tiere am liebsten Happy, und wusste nicht weshalb es von Vorteil wäre wenn sie ihren Pfleger(innen) nicht zutraulich sein würden. Welchen Zoobesucher mag ein wirklich wildes Tier im Zoo sehen, ein Tier also was sehr verängstlicht und möglich sehr agressiv ist weil es sich überhaupt nicht wohlfühlt? Na? Das mag doch keiner ( denke ich jedenfalls ). Ich bin nur Pfleger unsere Hauskatze, also ohne berufliche Ausbildung wie Zootierpfleger, aber ich denke mal das die Berufsleute es doch auch gern haben wenn sie am Morgen begrüsst werden von Tiere die sie gerne kommen sehen, das die sich nicht verstecken oder einem anbrüllen weil sie dich als Pfleger gar nicht in der nähe haben wollen.
    Wild sein funktioniert nach meiner Meinung nicht in menschlicher Obhut, es sei denn man fangt ein Wildtier auf um es später wieder aussetzen zu können, und man hat es nur aufgefangen weil es vielleicht verletzt war o.ä. Einfach gesagt; ich denke das Tier soll sich bei ihren Menschen wohlfühlen, und deshalb soll es Menschen wie eine art Familie sehen und womöglich zutraulich zu sie sein. Jedenfalls zu ihre feste Pfleger/Eigner. So, Diskussion geöffnet......
    Freundliche Grüsse aus Holland,
    Klaas Kamminga.

  • #2

    KaterinaMirus (Montag, 14 November 2016 17:55)

    Danke Klaas, genau so sehe ich es auch

  • #3

    Elke wasinger (Montag, 14 November 2016 21:53)

    Genial geschrieben......bin ganz deiner Meinung. ...unsre zootiere sind obwohl wild ...sozialisiert ....wodurch viele Aufgaben leichter zu bewältigen sind.....bis wir bei neuen Tieren das Vertrauen bekommen ist immer ein weiter Weg. ...bestes Beispiel ...unsre neuen Tiger

  • #4

    Ludwig Below (Dienstag, 15 November 2016 00:51)

    Ich habe einige Jahre Großkatzen im Zirkus beobachten können. Ich habe Transporte gefahren, oft bei Nacht, und mit ihnen gesprochen. Ich denke, es gibt schon die Unterschiede nach vielen Jahren in menschlicher Obhut. Als erstes werden die Tiere durch ihre Bezugspersonen versorgt. Natürlich ist der Instinkt beim Fressen vorhanden, allerdings erlebe ich dies bei meinen (ehemals eingefangenen wilden Katzen) Hauskatzen auch. Ich denke es bringt nichts, zurückzuschauen. Betrachten wir doch die großartigen Katzen aus heutiger Sicht. Ich habe einen Tierlehrer kennengelernt, der konnte auf Anhieb mit den Großkatzen "sprechen", obwohl er sie nicht kannte. Bei mir gelingt es manchmal, und ich war stolz als der Tiger im Hagenbeck Zoo mir laufend Antwort gab. Ich haber selbst bei einem Wurf von mehreren Tieren erlebt, dass die Eifersucht sehr groß ist. Wenn ein Tiger freundliches Verhalten zeigt, kommt schon die Schwester oder Bruder und will mitmischen. Aufpassen ist sehr wichtig, aber das wissen die Tierlehrer, die ihre Tiere kennen und mögen. Aus meiner Sicht zeigen immer mehr Tierlehrer eine soziale BIndung mit und zu den Tieren. Und das ist gut so.

  • #5

    Katerina Mirus (Dienstag, 15 November 2016 12:35)

    Danke euch ! Ja es zeigt sich immer mehr , dass wir mit den Tieren auf eine Ebene stehen sollten und es könnte nicht schaden , wenn Zoos mit privat Haltern und Züchtern zusammen arbeiten und sich austauschen werden um mehr Erfahrungen zu sammeln . Es ist noch so vieles, was wir nicht wissen . Auch die Frage Einzel - , Paar- oder sogar Familienhaltung. Es zeigt sich immer mehr, dass Katzen viel sozialer sind als wir dachten

  • #6

    Stefan B. (Mittwoch, 30 November 2016 11:11)

    Eine wirklich interessante Frage, die hier aufgeworfen ist. Ich glaube, es kommt sehr auf die Tierart und den Zweck der Haltung an. Wenn es um eine Nachzucht mit dem Ziel der späteren Auswilderung ist, macht eine Sozialisation wohl wenig Sinn. Anders stellt es sich dar, wenn der Lebensraum Zoo bzw. qualifizierte Privathaltung vorgezeichnet ist. Und gerade Katzen sind doch ausgeprägte Charakterköpfe. Und gerade das Argument der Stressreduktion durch eine behutsame Sozialisation halte ich für sehr plausibel. Das ist bei unseren Hauskatzen schon so, warum sollte es bei den großen Verwandten so viel anders sein?